Am Beginn der
Fastenzeit wird den Glaeubigen Asche auf das Haupt gestreut und sie hoeren das
Jesuswort: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“. Als ich nun kurz vor der
Fastenzeit im Konradsblatt von der Pastoral 2030 las, spuerte ich die Asche auf
dem Haupt gluehen. Mir wurde klar: Wir brauchen eine radikale pastorale Umkehr!
Weniger Struktur und mehr Evangelium!
Wir verwalten uns zu Tode
Die Zahlen sind
erschreckend: Kirchenaustritte auf hohem Niveau, Gottesdienstbesucher immer
weniger und die Zahl der Priester, denen man die Leitung einer Seelsogeeinheit
oder Grosspfarrei uebertragen kann, wird im Jahr 2030 etwa bei 80 Priestern
liegen. Als ich 1987 zum Priester
geweiht wurde, gab es noch ca. 800
aktive Priester.
Da scheint eine weitere
Verringerung der Pfarreien oder Seelsorgeeinheiten alternativlos zu sein. Waren
es vor 30 Jahren noch 1000 Pfarreien, sind diese nun schon auf 220
Seelsorgeeinheiten geschrumpft. Und die sollen nun wiederum auf 40
Kirchengemeinden reduziert werden. Viele Pfarrer sind entsetzt ueber solche
Monsterpfarreien, die eigentlich keiner mehr leiten will. Gemeinden fuerchten
die Aufloesung ihrer Identitaet und das voellige Verschwinden von Heimat in der
Kirche. Schrumpfen wir uns wirklich gesund oder laufen wir in die Sackgasse der
voelligen Selbstaufloesung hinein? Denn wenn man mit der Logik des staendigen
Schrumpfens weiter machen wuerde, waere doch das Ideal damit erreicht, dass die
ganze Erzdioezese eine einzige Pfarrei wird, in der dann der Bischof den
einzigen Sonntagsgottesdienst haelt, den man ueber Livestream uberall
mitverfolgen kann. Wollen wir etwa 2050 da ankommen?
In meiner Zeit
als Pfarrer in Freiburg (1997-2001) war ich erschrocken wie wenig ich wirklich
Zeit fuer die Seelsorge direkt bei den Menschen hatte. Die Verwaltung nahm mich
in Anspruch, trotz Verrechnungsstelle. Meine Zeitfresser waren: Viele
Sitzungen, die vorbereitet werden mussten. Schreibtischarbeit mit Post von
Firmen, Geschaeftstellen, Ordinariat und Seelsorgeamt. Gebauderenovationen und
Instandhaltung, .... Und mit der Pastoral 2030 wuerde Pfarrei noch groesser. Du
bekommst als Pfarrer eine eigene Verrechnungsstelle, aber Du musst der
Letztverantwortliche bleiben. Das heisst, du wirst ein noch besserer und
efizienterer Manager sein muessen. Einem wirklichen Seelsorger bleibt da nur
noch der Ausstieg oder die innere Emigration. (Ich habs gut, ich bin
ausgewandert). Und werden diese Aussichten mehr junge Leute fuer das
Priesteramt anziehen?
Alternativlos?
Meiner Meinung nach
ist die Pfarreienzusammenlegung nicht alternativlos. Es gibt Alternativen und
ueber die muss nachgedacht werden. Der springende Punkt ist die Leitung einer
Gemeinde, Pfarrei, Seelsorgeeinheit, Kirchengemeinde oder wie immer man das
Kind nennen will. Solange die Seelsorgeraume immer von einem Pfarrer geleitet
werden mussen, kommen wir am Schrumpfen nicht vorbei. Aber wir werden uns dann
wahrscheinlich zu Tode schrumpfen. Wir brauchen daher dringend Alternativen.
Und es gibt sie in der Weltkirche. Als noch „junger“ Bischof in Peru (seit
eineinhalb Jahren) moechte ich ein paar Alternativen aus der Weltkirche nennen,
die man naturlich nicht eins zu eins kopieren kann. Aber man koennte sie
benutzen um Alternativen zur Schrumpfpastoral zu finden.
1.
Alternative Suedamerika: Laut Kirchenrecht kann bei grossem
Priestermangel die Leitung einer Pfarrei einem Laien uebertragen werden. Das
geschieht in Peru schon lange auf unterschiedliche Weise:
-
Pfarreien
werden in einigen Faellen an Ordensschwestern oder Katecheten uebertragen, die
dort als eine Art Pfarradministratoren taetig sind.
-
Teilgemeinden
einer Grosspfarrei (meist Stadteile in Armenvierteln oder ganze Doerfer auf dem
Land) werden dem dort ansaessigen Katecheten zur Verwaltung und Liturgie
(Wortgottesdienste, Beerdigungsriten, manchmal auch Taufen) uebertragen. Der
Pfarrer muss sich dann weder um Kirchenbau noch sonstige Dinge in dieser
Teilgemeinde kuemmern). Das geschieht in meiner Praelatur im groessten Teil der
Teilgemeinden ausser am Pfarrsitz. Der Pfarrer ist entlastet, kommt nur ein
paarmal im Jahr zur Eucharistiefeier in diese Doerfer.
2.
Alternative Schweiz: Dort werden meines Wissens kaum
Pfarreien zusammengelegt. Das liegt an der Kirchensteuer: Die geht naemlich
direkt an die Pfarrei. Und je nach Kirchensteuereinnahmen kann sich die Pfarrei
dann einen Pfarrer oder Gemeinderefernten leisten. Dadurch schrumpft die
Verwaltungsarbeit sowohl im Ordinariat als auch in jeder Pfarrei betraechtlich.
3.
Alternative Poitiers/Frankreich Die bisherigen Gemeinden werden von Pastoralteams
geleitet. Das sind Laien, die in diesen Gemeinden leben. Sie halten dort auch
Wortgottesdienste am Sonntag und verwalten ihre Gebaude. Der Pfarrer feiert die
Eucharistie am Hauptort hin und wieder in den uebrigen Gemeinden. Er gibt
Impulse und spricht sich mit den Teams ab.
Ich finde es gut,
das die Erzdioezese Freiburg wie andere Dioezesen auch, die Probleme ganz
realistisch anschaut, den Leuten nichts vormachen will und sich nicht scheut,
auch schwierige Dinge vorzuschlagen. Aber ist „Pastoral 2030“ wirklich die
einzige Alternative? Mir scheint, die Pastoral 2030 muesste in Wirklichkeit
Kirchenverwaltung 2030 heissen. Die eigentliche Seelsorge wird naemlich ganz
ausgeblendet oder es wird erwartet, dass die dann in den neuen Strukturen
irgendwie vom Himmel faellt. Mir scheint bei der Pastoral 2030 haben mehr
Verwaltungsfachleute das Sagen gehabt als Pastoraltheologen. Mir scheint, wir
brauchen dringend eine Umkehr zum Wesentlichen, zum Evangelium.
Pastorale Umkehr
Mir ist ein Wort
von Papst Franziskus in „Evangelii
Gaudium“ wichtig geworden. Da wirbt er eindruecklich fuer eine „pastorale
Umkehr“ (EG 25-33) in unseren Pfarreien. Kurioserweise wurde dieser Begriff in
der deutschen Uebersetzung nur sehr abgeschwaecht mit „Neuausrichtung der
Seelsorge“ wiedergegeben. (Papst Franziskus aber hat diesen Text weitgehend aus
dem Dokument von Aparecida 365-372 uebernommen, wo es ohne Zweifel „Conversión
pastoral“ heisst). Die Pastoral braucht eine radikale Erneuerung, kein „weiter
so wie bisher“. Zusammenlegung von
Pfarreien ist zunaechst einmal eine strukturelle Antwort auf den
Priestermangel. Nach Evangelii Gaudium 26 koennen die neuen Strukturen
„nuetzlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie unterstuetzt und
sie beurteilt. Ohne neues Leben und echten, vom Evangelium inspirierten Geist
... wird jegliche neue Struktur in kurzer Zeit verderben“. Ist das nicht genau
fuer die Pastoral 2030 gesagt?
Fuer mich heisst
Pastorale Umkehr hinhoeren, was Gott uns in dieser Krisensituation sagen will
und darauf eine neue, kreative Antwort geben. Ich moechte einfach einmal etwas
fuer die Zukunft traeumen, wie die Seelsorge 2030 aussehen koennte. Vielleicht
koennte die Verwaltung 2030 ja weitgehend so aussehen, wie sie in dem Papier
angedacht ist.
Ein Traum fuer die Erzdioezese Freiburg
Ich traume von
Pfarreien die geistlich geleitet werden von einem Priester, der fuer das Volk
die Sakramente feiert, und mit seinem Pastoralteam aus hauptamptlichen
pastoralen Mitarbeitern die Ehrenamtlichen in der Pastoral begleitet und
inspiriert. In jeder dieser Pfarreien gibt es viele territoriale Gemeinden, die
sich um eine der Kirchen herum bilden. Daneben gibt es auch personale
Gemeinden, die unabahaengig von kirchlichen Gebaeuden sich treffen und Dienste
leisten. Alle diese Gemeinden werden von Gemeindeteams geleitet, die sowohl
fuer die Finanzen, Katechese und Diakoníe in ihrem Bereich als auch fuer ihre nichtsakramentale
Liturgie verantwortlich sind. Diese
Gemeindeteams konnten von einem Diakon oder einem auch Frauen offenstehenden
neuen Amt in der Kirche geleitet werden. So eine Gemeinde koennte ihr
Existenzrecht durch eine Mindestzahl an festen (evt. zahlenden) Mitgliedern
erwerben. Alle ihre Dienste und Aemter sind ehrenamtlich, es sei denn, sie
koennen welche aus ihren eigenen Einnahmen finanzieren. Die Pfarrei hat
hingegen ausserdem ein Verwaltungsteam (Verrechnungsstelle), deren Leiter der
Letztverantwortliche fuer alle Verwaltung ist. Dabei stehen der Verwaltung nur
50% aller Personalstellen und 50% der Finanzen zur Verfuegung, der Rest steht
fuer pastorale Aufgaben bzw. Personal zur Verfuegung. Das gilt auch fuer die
Dioezesanleitung. Vielleicht koennte man so den Einfluss der Verwaltung auf die
Pastoral in Grenzen halten. Das Hauptaugenmerk der Pastoral sollte auf der
Entstehung und Begleitung von solchen Klein-Gemeinden liegen. Alles was diese
(kleinen) Gemeinden selbst tun koennen, sollen sie auch tun duerfen. Die
Pfarrei als eine Art subsidiaere Struktur bietet dann zentral alle Dienste an,
die diese kleinen Gemeinden nicht selbst leisten koennen. Wenn eine Pfarrei
nicht eine Mindestzahl an lebendigen Kleingemeinden aufweisen kann, verliert
sie ihr Lebensrecht. Die Kirche wird in diesen Kleingemeinden leben, oder sie
wird nicht leben.
Wie gesagt,
dieses Kapitel ist nur ein Traum. Aber wenn viele gemeinsamen traeumen, so ist
das der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Sagte schon Helder Camara.
Ich wuensche den
Verantwortlichen und allen Glaubigen der Erzdioezese Freiburg den Beistand des
Heiligen Geistes, damit sie zu einer guten Unterscheidung gelangen, die Leben
weckt. .
Caravelí/Perú, Februar 2019 Reinhold
Nann