Nachdem ich
fast 20 Jahre an der Kueste und in den Anden Perus Pfarrer war, hat mich die
Neugier gepackt, wie die Kirche im peruanischen Urwald funktioniert. Immerhin
umfasst der Urwald ca. 2/3 des peruanischen Staatsgebietes, obwohl hier nur
ca.10% der Einwohner leben. Bischof Javier Travieso, der zuvor Weihbischof in
Trujillo war, ist jetzt seit einem Jahr apostolischer Administrator des
Vicariats “San José del Amazonas” und hat mir eine fuenfwoechige Erfahrung in
Indiana (bei Iquitos) zwischen Februar und Maerz 2016 ermoeglicht.
Ein
Flugzeug bringt mich von Lima aus in knapp 2 Stunden nach Iquitos. Der Bischof
selbst holt mich am Flughafen ab und wir fahren mit einem Mototaxi (eine Art
motorisierter Rikscha) in 15 Minuten zum Zentrum des Vikariats nach
Punchana/Iquitos. (Ein Vicariat ist eine Art Missionsdioezese. Wegen fehlendem
einheimischen Klerus wird es einer Ordensgemeinschaft anvertraut). Hier gibt es
ein grosses Gaestehaus fuer Missionare und Gaeste, Bueros, eine Katechesezentrum,
ein Zentrum fuer Bibelstudien, die ODEC (zustaendig fuer Religionslehrer), eine
Krankenstation, ein Haus fuer Ordensschwestern und eines fuer Laienmissionare,
fast wie ein kleiner Vatikan.
Der Bischof
residiert hauptsaechlich hier, obwohl der Ort in der Nachbardioezese Iquitos
liegt, aber es ist einfach verkehrsmaessig sehr viel zentraler. Das Klima ist
warm und feucht, wenn es nicht gerade regnet ist man staendig am schwitzen. Die
Mosquitos im Haus und selbst in der Stadt halten sich tagsueber sehr zurueck,
am Abend ab 17Uhr muss man sich spaetestens schuetzen.
Etwas zur Geschichte
Im Amazonas
gab es eingeborene Stammeskulturen (Jaeger und Sammler), vergleichbar mit den
wenigen verbliebenen heutigen Staemmen,
mindestens seit 1500 vC. Die Staemme sind Gruppen von Familien, geleitet
von einem Patriarchen. Dieses Amt uebt der Beste aus, es ist nicht erblich. Es
herrscht das Prinzip der Beteiligung und der Gegenseitigkeit. Tradition wird
ueber Mythen und Geschichten weitergegeben. Der Schamane oder Heiler uebt eine
wichtige Funktion aus.
Francisco de Orellana entdeckt den Amazonas, nur 20 Jahre
nach der Ankunft der Spanier an der peruanischen Kueste unter Francisco
Pizarro. 1683 kommen die
Jseuiten aus Quito, die mit 13 Reduktionen die Provinz Maynas begruenden. Eine
Reduktion ist ein von Ordensleuten geleiteter Bezirk, in den sonst keine
Europaer Eintritt haben und die Indios so vor Ausrottung schuetzt. Die
Missionare lehren auch Ackerbaumethoden der Anden und aus Europa. Trotzdem gab
es Rebellionen und 6 Jesuiten fanden den Tod. 1769 wurden der Jesuitenorden und
seine Reduktionen aufgeloest. Nun kommen Geschaeftsleute und Agrarunternehmer,
die zunaechst im “hohen Urwald” Kaffee und Coca anbauen, sowie Viehzucht
betreiben und sich nach und nach auch am Rande des Amazonas und seiner
Zufluesse ausbreiten. Gut 100 Jahre lang gibt es in dieser Zone
ueberhaupt keine kirchliche Praesenz mehr.
Von 1880
bis 1914 bricht eine Art Goldrausch am Amazonas aus: Es herrscht ein grosser
Bedarf weltweit nach Kautschuk und fast nur hier rinnt dieses Harz von den
Bauemen. Die Indios wurden gezwungen, eine bestimmte Menge taeglich abzuliefern
und praktisch versklavt. Die nicht-indianische Bevoelkerung nimmt rasant zu:
von 18.000 im Jahr 1876 auf ueber 120.000 in 1920. Dann geht der Spuk
ploetzlich zuende, weil es den Englaendern gelungen ist, den Kautschukbaum in Plantagen in Asien heimisch zu machen. Der
Preis verfiel, viele Auslaender kehren zurueck,
In dieser
schwierigen Kautschukzeit kehrt auch die Kirche wieder nach Iquitos zurueck. 1901
wird die Praefektur San Leon del Amazonas begruendet und den spanischen
Augustinern uebergeben. 1945 wird dann das Vikariat San José gegruendet, den
kanadischen Franziskanern uebergeben,
und von Iquitos abgetrennt. .
Ab 1970
ereignen sich 3 wichtige Phaenomene am Amazonas, die bis heute nachwirken: 1. Bei
Iquitos werden Oelvorkommen entdeckt, abgebaut und mit Pipeline ueber die Anden
an die Kueste gepumpt. Die Erdoelsteuer ist heute die wichtigste Einnahme der
Gemeinde- und Bezirksverwaltungen. Das hat Arbeitsplaetze geschaffen, aber auch
Umweltbelastung und Zerstoerung von Familien. 2. Fast gleichzeitig wurde die
Cocapflanze nun als Rohstoff fuer Kokain entdeckt. Das hat riesige neue
Anbauflaechen im “hohen Urwald” geschaffen mit der entsprechenden Kriminalitaet
der Drogenhaendler, die auf dem Amazonas nach Kolumbien und Brasilien gelangen.
3. In den 80er Jahren taucht die Terrororganisation Sendero Luminoso auf.
Der “Exodus” der
Kirche am Amazonas
Die Kirche
ging nicht weg, hat aber einen entscheidenden Veraenderungsprozess
durchgemacht. Sie will nicht mehr nur taufen und Katechese machen sondern sich
wirklich am Amazonas und auch bei den Ureinwohnern inkulturieren. Mit dem 2.Vatikanum
(1962-65) begann ein Prozess der Veraenderung in der Gesamtkirche. Die
Abteilung Mission des Lateinamerikanischen Bischofsrates lud 1971 zu einem
“Transamazonischen Missionskongress” in Iquitos ein. Dieses Treffen von
Bischoefen, Missionaren, Soziologen und Antropologen hat zu einer neuen
Sichtweise gefuehrt. Das Schlussdokument Nr. 32 sagt: “Die Kirche entscheidet
daher, selbst amazonisch zu werden, sich mit diesen Voelkern, zu denen sie
gesandt ist, zu solidarisieren und sich in ihre Kulturen, Riten, Aemtern und
Strukturen zu inkulturieren.
Ab da gab es eine Serie von internationalen und nationalen
Treffen zur Urwaldpastoral und es wuchsen folgende pastorale Linien heraus:
-
Eine
differenzierte Pastoral fuer Stadtbewohner, Uferbewohner und Eingeborene.
-
Dem
Urwaldbewohner zuhoeren, seine Sprache und Gewohnheiten wertschaetzen, nicht
mehr das “Heidnische” abwerten, sondern es zu integrieren versuchen, als Basis
fuer die Verkuendigung verwenden
-
Einheimische
Katecheten und Gemeindeleiter ausbilden
Tatsaechlich
hat diese neue Pastoral Fruechte bis heute gezeigt: Es gab einige Missionare,
die wirklich mit den Eingeborenen gelebt haben, die deren Rechte verteidigt
haben sowie Gesundheits- und Entwicklungsproyekte angestossen haben. In der
Uferpastoral konnten viele Gemeindeleiter gewonnen werden. Die Pastoral in den
Staedten funktioniert dagegen aehnlich wie in den Anden oder den Staedten der
Kueste. Es gibt eindrueckliches katechetisches Material, in dem die Bruecke von
der traditionellen Stammesreligion zum Christentum geschlagen wird.
Die Rechte
der Dorfbewohner im Urwald zu schuetzen, bedeutet auch die Umwelt zu schuetzen.
Der Urwaldbewohner, der sich noch nicht vom staedtischen Profitdenken
angesteckt hat, schuetzt seine Mutter Erde, die ihm Wohnung und Nahrung gibt.
Dennoch
gibt es auch grosse Probleme: Die Staemme loesen sich langsam auf, die Sprache
und Identitaet verschwindet im Migrationsprozess. Die Stadt mit ihrer
Konsumkultur ist ein Magnet. Die Verschmutzung des Amazonas durch Oel- und
Goldsucher nimmt zu. Evangelikale Gemeinden breiten sich aus und katholiche
Gemeinden duennen sich aus. Auslaendische Missionare (und ihre Finanzen) nehmen
rasant ab. Der einheimische Klerus ist noch ganz gering und kann sich nicht
selbst finanzieren
Einige Daten des Vikariats San José
Auf einem Gebiet von 150.000 Quadratkilometern
leben 150.000 Menschen. Dieses Gebiet hat Grenzen mit 3 Nachbarlaendern:
Ecuador und Kolumbien im Norden und Brasilien im Osten. Es gibt 16
Missionsposten oder Pfarreien, aber nur 11 Priester, davon nur 3 einheimische. Die
Haelfte der Pfarreien wird von Ordensschwestern oder Laien geleitet. Jede
Pfarrei hat auf hunderten von Kilometern Seeweg 60 bis 100 Doerfer zu
versorgen. (Es gibt keine Strassenverbindungen zwischen den Doerfern). Zu
manchen Doerfern geht die Fahrt ueber mehrere Tage. Frueher hatten die
Missionare ihr eigenes Boot, heute gibt es sehr viele oeffentliche
Schnellboote.
Jedes Jahr gibt es eine Art Pastoralversammlung
ueber 6 Tage, zu der alle Priester, Ordensschwestern, Laienmissionare
(Mexikaner und Polen) und 3
Gemeindeleiter pro Pfarrei kommen. Hier wird die Pastoral ausgewertet und fuer
das neue Jahr geplant. Jede Pfarrei bildet ausserdem ihre Katecheten und
Gemeindeleiter aus (meist zweimal im Jahr). Die Eingeborenenpastoral scheint
keine eigene Koordination zu haben.
Wie leben die Leute?
Im Stadtzentrum von Indiana gibt es nur wenige
Backsteinhauser. Die Mehrheit wohnt in Holzhauesern, am Wasser entlang stehen
diese auf Pfaehlen, da der Wasserspiegel schwankt. Es gibt kaum Mueckengitter
an den Fenstern, aber ueber der Matratze oder Haengematte schon. Die Daecher
sind meist aus Wellblech, der Boden aus Holzbrettern oder Zement.
Einige arbeiten fuer die Gemeindeverwaltung
oder den Staat, es gibt Haendler und Mototaxis (ca 50!) Viele haben ein Feld
und fischen. Fast alle haben Handys, es gibt sogar free W ifi auf der Plaza,
aber langsam. Es gibt einen Stromgenerator fuer alle, nachts von 12 bis 6am
wird er abgeschaltet.
Auf den Doerfern am Ufer der Fluesse gibt es meist
eine Grundschule und eine Art Dorfapotheke. Alle leben von Landwirtschaft
(Reis, Yuca, Bananen) und Fischfang. Die Haueser sind aus Holz mit
Palmdaechern. Es gibt keinen Strom, selten Trinkwasser und kein Handy. Wenige
haben Solarstrom. Meist gibt es einen Laden.
¿Was mache ich hier in
Indiana?
Indiana ist eine Kleinstadt mit
knapp 3000 Einwohnern, Sitz des Distrikts mit nocheinmal 5000 Menschen, die in
Doerfern am Ufer wohnen. Das
Zentrum des Vicariats ist gross, ca 100 koennen hier uebernachten. Im Moment
wird die Pfarrei vom Nachbarpfarrer in Mazan mitverwaltet, der mit seinem
Motorrad in 15 min hier sein kann
Jetzt ist Ferienzeit, sodas gerade nicht viel
los ist in der Pfarrei. Der Nachbarpfarrer (ein Einheimischer) ist an Malaria
erkrankt (er ist in Behandlung)und ganz froh, dass ich ihm die Gottesdienste
abnehme.
Ich war
zweimal in Mazán und Aucayo (Nachbarpfarreien). Nach Aucayo, das ca. 2 Stunden
von Indiana entfernt ist – man faehrt ueber Iquitos- hat mich Schwester Jean
mitgenommen, eine kanadische Ursulinin. Einmal zu einer Krankensalbung und das
andere Mal zu einer Hochzeit, weil der dortige Pfarrer gerade in Lima ist. Jean ist ueber 80
Jahre alt, seit 1962 am Amazonas.
Sonntags zelebriere ich 2 Messen
in Kapellen von Indiana (die haben sonst Wortgottesdienste) und die
Gemeindemesse am Abend. Das ist die einzige Sonntagsmesse in dieser “Kathedrale”.
An den Wochentagen habe ich
vormittags meist Zeit zum Beten, lesen und studieren. An den Nachmittagen besuche ich Familien mit
dem Bild der Pilgermuttergottes. In zwei Zonen haben mich die Gemeindeleiter
begleitet und die Familien vorher ausgesucht. Wir beten, ich segne das Haus und
wir sprechen ein wenig, so lerne ich eine ganze Menge Leute kennen. Am Abend
dann die Messe in der Pfarrei, zu der manchmal nur 3-5 Leute kommen. Ich werde
an der Pastoralversammlung teilnehmen und an 3 Tagen zukuenftigen Religionslehrern Vortraege
halten.
An das Klima habe ich mich schnell gewoehnt. Moeglichst
wenig bewegen, um nicht noch mehr zu schwitzen heist die Devise. Wenn es regnet
und in der Nacht sind die Temperaturen angenehm. Die Muecken sind schon ein
Problem, in der Stadt hauptsaechlich ab 5Uhr abends. Die Mueckenschutzcreme
haelt leider nur ca 2 Stunden an. Nach 10 Tagen hatte ich ploetzlich viele
Stichwunden unter den Socken, das waren aber eine Art Minizecken (Isangos),
gegen die es kein Mittel gibt. Ich musste zum Arzt, der mir jedoch gleich
helfen konnte.
In dieser Jahreszeit regnet es heftig und viel.
Das laesst die Fluesse ansteigen.
Die Religiositaet im Urwald
Der hautnahe Umgang mit der Natur laesst den
Menschen im Urwald Gott als Schoepfer und Ursprung allen Lebens verstehen. Fuer
ihn haben alle Tiere und Pflanzen eine Seele, menschliche, tierische und pflanzliche
Seelen koennen sich ineinander verwandeln. Aber das Leben im Urwald
produziert auch Aengste: Da soll es den Tunchi (boesen Geist) und Verhexungen
geben. Es gibt Zauberer (Schamanen). Traeumen wird eine grosse Bedeutung beigemessen.
Die Mehrheit ist getauft, aber der biblische Glaube
ist nur schwach entwickelt. Viele haben keinerlei Kontakt zur Kirche. Ein
gewisser katholischer Volksglaube ist da, aber viel schwaecher als im
Andenraum: Glaube an das Weihwasser, sich bekreuzigen, einen Rosenkranz zum
Schutz um den Hals haengen… Totenmessen und Prozessionen spielen weniger
eine Rolle.
Auch wenn die Leute die alten Stammesreligionen
laengst nicht mehr praktizieren, ist noch viel von der Naturrelgion zu spueren.
Nach wie vor hat der Schamane eine wichtige Rolle, vor allem bei Krankheiten,
selbst bei Menschen in der Stadt. Evangelisieren bedeutet hier heute nicht mehr
die Naturreligion ablehnen sondern in ihr Anknuepfungspunkte fuer christliches
Denken suchen. Das bedeutet, diese Kultur ersteinmal kennenlernen und
wertschaetzen. In diesem Prozess muss
manches christliche neu formuliert werden, mit der Zeit auch die Gebete und
Liturgie, wobei ich da kaum Innovation mitbekommen habe.
Ausser der Taufe gibt es kaum
sakramentales Leben. Einige
wenige in der Stadt gehen zur Kommunion oder heiraten. Auf dem Dorf sind diese
Sakramente meist erst im Sterbefall aktuell.
Sehr viele Doerfer haben einen Gemeindeleiter
oder Katecheten, der Sonntags auch eien Wortgottesdienst haelt. Allerdings ist
die Zahl der Teilnehmenden oft auch sehr gering, der Sektenprediger hat meist
mehr Zulauf.
An die Periferíe gehen
Geographisch ist dieses Vikariat mit Sicherheit
das abgelegenste, schliesslich grenzt es an 3 Nachbarstaaten an. Die Distanzen
sind enorm (Die Grenze nach Kolumbien am Fluss
Putumayo ist ca 1000km lang). Der einzige Verkehrsweg sind die Fluesse,
manche Orte werden auch mit dem Wasserflugzeug angefahren, aber zu ziemlich
hohen Preisen. Es gibt viele Krankheiten (Magen Darm: Hepatitis) und tropische:
Dengue, Gelbfieber und Malaria). Der Staat und die Kirche glaenzen in den
weiter entfernten Orten durch ihre Abwesenheit
Dennoch ist es gerade hier, wo die Kirche
versucht ihre Option fuer die Armen zu leben. Hier geht sie an die Raender, wie
Papst Franziskus das sagt.
Dazu braucht sie sehr viel mehr Missionare,
auch Laien, die bereit sind, sich auf diese Bedingungen und Menschen einzulassen. Die bereit sind zu
lernen und die Menschen, so wie sie sind, anzunehmen. Misereor und Adveniat
unterstuetzen hier Gott sei Dank viele Projekte.
Der Amazonas braucht unser Gebet und unsere
Unterstuetzung
Indiana, Maerz 2016 Pfr
Reinhold/Reinaldo Nann