Zum Brief von Papst Franziskus an das pilgernde
Volk Gottes in Deutschland
Der Brief des
Papstes kam fuer alle ueberraschend. Er ist als sein Beitrag zum „synodalen Weg“
in Deutschland zu sehen. Der Papst mischt sich ein, nicht bestimmend, nicht
zurechtweisend sondern ermutiegend. Dabei gibt er keine Loesungen vor, zeigt
aber Gefahren am Weg auf und macht so eine Weichenstellung, in welche Richtung
wir auf dem Weg schauen sollten. Den Weg gehen und die richtigen Schritte tun,
das muss die deutsche Kirche dann schon selber tun.
Nicht der erste Papstbrief an ein bestimmtes Land
Im letzten Jahr
gab es zwei Briefe von Franziskus. Der erste am 31.5.18 an das Volk Gottes in
Chile und der zweite am 20.8.18 an das Volk Gottes ganz allgemein. In beiden
Briefen geht es um die Missbrauchsproblematik in der Kirche, im zweiten Brief
wird zwar die USA nicht direkt angesprochen, aber der Ausloeser war doch klar
die Missbrauchsstudie von Pensilvania. Im Brief an die deutsche Kirche wird
zwar der Missbrauch nicht angesprochen, es ist aber doch klar, dass er der
direkte Ausloeser der Krise ist, auf die der synodale Weg antworten moechte.
Synodalitaet als Grundprinzip
Der Papste freut
sich ueber den synodalen Weg. Er warnt nicht vor dem Weg an sich, sondern vor
gewissen Gefahren, die sich dabei ergeben koennten. Er praktiziert Synodalitaet
bei seinen jaehrlichen Bischofssynoden im Oktober in Rom. Er entscheidet nicht
alles selbst mit dem Heiligen Geist, sondern ist ueberzeugt, dass der Heilige
Geist im gesamten Volk Gottes wirkt. Der Synodale Weg in Deutschland darf daher
nicht nur eine Bischofssynode sein. Der Weg muss in den Pfarreien und Dioezesen
beginnen, bevor die Bischoefe mit einigen Experten darueber beraten. Es ist
wichtig, auf das Volk Gottes zu hoeren, nicht nur auf Statistiken und
Wissenschaftler. Der Synodale Weg sollte also in den Pfarreien und Verbaenden
beginnen.
Strukturreformen greifen zu kurz
Wir Deutschen
werden zwar gelobt als gute Organisierer, aber es wird auch klar festgestellt,
dass rein technische Strukturreformen (wie sie zur Zeit ja in vielen Dioezesen
zaehneknirschend durchgefuehrt werden) nur kurzzeitige Erleichterung bringen,
ohne das Problem loesen zu koennen. Und die Loesung liegt auch nicht in radikalen
kirchlichen Reformen bei den „Reizthemen“ Zoelibat, Frauenpriestertum und
Sexualmoral. Das darf auf keinen Fall ausgeklammert werden, aber man darf sich
davon nicht allzu viel fuer die langfristige Loesung der Krise in einer „Zeitenwende“
versprechen.
Der synodale Weg geht nicht nach vorwaerts oder
rueckwaerts sondern nach oben und unten
Noch immer ist
die deutsche Kirche in das konservative und progressive Lager gespalten, auch
wenn das letztere klar im Aufwind ist. Der Papst stellt klar, dass ein Weg
zurueck nach einem Modell der Kirche von fruehren Zeiten nicht geht. Aber
ebensowenig nuetzt es, einfach alles ueber den Haufen werfen zu wollen, was in
der gegenwaertigen Gesellschaft nicht verstanden wird, das waere „Verweltlichung“,
Einebnung des kritisch prophetischen Potentials des Evangeliums. Der Papst
insistiert in einem dritten Weg, dem geistlichen Weg. Wir muessen uns zwar die
konkrete Realitaet ganz genau anschauen, aber dann alles von „oben“ vom Geist
Gottes her erwarten. Wir koennen die Loesung nicht einfach „machen“, sie wird
nicht in Kampfabstimmungen erreicht sondern im Hinhoeren auf Gott. Die
entscheidende Frage dieses geistlichen Prozesses wird sein: „Was will uns der
Geist Gottes in dieser Situation sagen?“. Glauben wir ueberhaupt noch daran,
dass Gott auch heute spricht, in den Ereignissen, in den Noeten der Menschen?
Haben wir die Methoden, geistlich hinzuschauen und hinzuhoeren oder sind unsere
Methoden gaenzlich intellektuell-wissenschaftlich gepraegt? Auch da koennte
eine blinde Stelle im deutschen Katholizismus liegen. Nach unten schauen, auf
die Realitaet der Notleidenden, und dort die Stimme Gottes hoeren, die von oben
kommt.
Geistliche
Unterscheidung und Pastorale Bekehrung
Der Papst stellt
nicht die Machtfrage: Ich habe recht, weil ich der Papst bin. Nein er ermutigt
uns Deutsche, selbst taetig zu werden im Sinne eines geistlichen Unterscheidungsprozesses.
Das sollte auf der untersten Ebene bei den Pfarreien beginnen, sich in den
Dioezesen fortsetzen und schliesslich auf nationaler Ebene gebuendelt werden.
Der Reformprozess
des synodalen Weges muss bei einer „pastoralen Bekehrung“ ansetzen. Dieses Wort
ist ein Schluesselwort in dem Lehrschreiben Evangelii Gaudium, auf das sich der
Papst immer wieder bezieht. „Conversión Pastoral“ wurde in der Deutschen
Ausgabe mit „Neuausrichtung der Seelsorge“ uebersetzt, was die eigentliche
Bedeutung geradezu straeflich verwaessert. Bekehrung ist viel grundsaetzlicher
als Neuausrichtung. Sie ist das Eingestaendnis, dass wir bisher etwas ganz
falsch gemacht haben. Es geht darum nicht mehr den Selbsterhalt der kirchlichen
Organisation als oberste Maxime zu setzen, sondern die Noete und Sorgen dieser
Welt zu sehen, und vom Evangelium her versuchen, darauf eine Antwort zu geben. Die
deutsche und die universelle Kirche muss eine missionarische Kirche werden, die
die Umwelt und die Armen ihrer Gesellschaft besonders im Blick hat.
Auf diesem Weg
gilt es auch Spannungen aushalten zu lernen. Gerade in diesen Spannungen ruft
uns der Heilige Geist, nicht vorschnelle Loesungen zu suchen sondern auf das
Evangelium zu hoeren.
Lasst uns den
Synodalen Weg im Gebet um den Heiligen Geist beginnen.
Caravelí,
29.06.19 Reinhold Nann, Bischof von
Caravelí
Der Autor hat 9
Jahre als Priester in der Erzdioezese
Freiburg und 23 Jahre als Missionar in
Peru gearbeitet.