1) Herr Bischof Nann, die Amazonas-Synode weckt im Vorfeld
in vielen
Ländern Hoffnungen und Befürchtungen. Wie sehen Sie das?
Ich denke dass es in Europa viele ueberzogene Erwartungen
und Befuerchtungen gibt. Die Amazonassynode ist kein allgemeines Konzil. Sie
wird die Kirche nur besser fuer die Realitaet des Amazonasgebiets aufstellen.
Europa muesste fuer seine Kirchenreform schon eine eigene europaische Synode
machen. Sie ist und bleibt eine lokale Synode, allerdings was das Klima und den
Umweltschutz betrifft, wird die Synode universal sein. Fuer mich als Bischof in
Peru ist die Synode eine grosse Hoffnung: Die Kirche wird wirklich zur
Ortskirche und kuemmert sich ganz konkret und direkt um die Menschen und die
Umwelt, mit all ihren Problemen und das mit direktem Rueckenwind von Papst
Franziskus.
2) Teilen Sie die Skepsis, die mehrere Kardinäle mit Blick
auf das
Instrumentum laboris geäußert haben? Sehen Sie
Korrekturbedarf?
Es ist schon eigenartig, dass diese Kardinaele alle keinerlei
Bezug zum Amazonasgebiet haben. Und sie scheinen an spirituellem Alzheimer zu
leiden. Das Instrumentum Laboris ist naemlich zum allergroessten Teil die
Anwendung der Enzyklica Laudato Si auf ein konkretes Gebiet hin. Und diese
Enzyklica ist schliesslich auch Teil des obersten kirchlichen Lehramts, wodurch
manche dieser Kritiker unter Haeresieverdacht zu stellen waeren.
3) Trifft das Instrumentum laboris die Probleme der Menschen
in Ihrer
Region?
Ja. Ich arbeite im Moment in den Anden, also nicht mehr im
Amazonasgebiet. Aber die Quelle des Amazonas liegt in den Anden, keine 300km
von meinem Bischofssitz entfernt. Und die Kultur der Andenbewohner ist in
vielem denen der Amazonasbewohner aehnlich. Auch hier sind die Menschen arm
aber sehr mit der Natur verbunden. Auch hier ist diese Natur von Minen bedroht.
Auch hier herrscht ein eklatanter Priestermangel.
4) Welche Bedürfnisse und Nöte der Menschen im Amazonas
sollte die Kirche
sorgfältiger in den Blick nehmen?
Kirche muss praesenter vor Ort werden. Es kann nicht sein,
dass ein Dorfbewohner tagelang unterwegs sein muss um einen pastoralen
Mitarbeiter der katholischen Kirche zu treffen.
Kirche darf sich nicht nur ueber die Sakramente definieren.
Armut, Exklusión und Umwelt sind die Themen. Geht es um die “kleinen Leute”, so
wie bei Jesus?
5) Was hat Ihnen während Ihrer Zeit als Pfarrer einer
Amazonasgemeinde am
dringendsten gefehlt? Wären mehr viri probati eine Hilfe
gewesen?
Meine Pfarrei hatte 37 Doerfer am Putumayofluss umfasst, auf
800km Laenge. In nur 3 Doerfern gab es ueberhaupt Katecheten und das weiteste
Dorf war 4 Tagesreisen entfernt. Da kann man nur Feuerwehr machen. Ich haette
zunaechst Geld und Personal gebraucht fuer die Schulung und Neugewinnung von
Katecheten. Spaeter haette ich sie zu Kommunionhelfern und staendigen Diakonen
gemacht. In meiner Pfarrei waren die Viri Probati noch nicht dran. In manchen anderen Gegenden vielleicht schon.
Es muessten Leute aus dem Dorf sein, Indigene, die auf ihren Dienst erst
vorbereitet werden muessten.
6) Wünschen Sie sich für Ihre Territorialprälatur eines Verstärkung des
Klerus als Lösung?
Ich habe einen jungen Klerus, der aber bei weitem nicht
ausreicht. Meine Praelatur ist duenn besiedelt mit ueberwiegend armen
Kleinbauern. Von 22 Pfarreien sind nur 15 besetzt und jede hat zwischen 10-50
Doerfer zu betreuen. Wenn ich mehr Priester haette, koennten sie von den mageren
Einnahmen dieser Doerfer kaum leben. Ich brauechte also nebenamtliche Priester,
die noch einen Zivilberuf haben. Die gibts aber nur verheiratet, bzw.
zusammenlebend. Ich braeuchte also Viri Probati, Will es zunaechst einmal als Notloesung
mit Katecheten und verheirateten Diakonen probieren. Allerdings gibt es auch da
ein Problem: Es gibt nur wenige kirchlich verheiratete Laien.
7) Welche Maßnahmen könnten die Seelsorger im Amazonas
entlasten und die
Seelsorge in Gemeinden verbessern, in denen sonntags oft
keine Eucharistie
gefeiert werden kann?
Im Amazonas ist Eucharistie im Unterschied zum Andengebiet
nicht wirklich von den Bewohnern gefragt. Ein Wortgottesdienst ist fuer die
meisten genauso eine Messe. Nur wir Theologen meinen, die Eucharistie waere
halt das Wichtigste. Zunaechst koennten gut ausgebildete Katecheten sehr gut
den Priester ersetzen. Aber diese Katecheten sollten auch eine Art Amt haben,
das ihren Dienst in den Augen der Mitbewohner legitimiert.
8) Welche Erfahrungen haben Sie mir der so genannten
"indigenen Theologie"
gemacht? Welches Gewicht kommt ihr zu?
Das ist eine grosse Hoffnung fuer mich. Wer mit Indigenen
arbeitet muss eine indigene Theologie vertreten und eine indigene Kirche
aufbauen, sonst wird Kirche fuer die indigenen Voelker immer ein Fremdkoerper
sein. Inkulturación bzw.
Interkulturalitaet ist die entscheidende Herausforderung fuer die Kirche heute.
Bisher wurde die Inkulturation des Evangeliums und damit eine effektive
Evangelisierung durch den Verweis auf die “Weltkirche” auch hier in Peru immer
verhindert. Daher ist diese Theologie auch in Peru noch nicht mehrheitlich
angenommen, aber sie ist im Kommen.
9) Ein deutscher Bischof erwartet sich von der
Amazonas-Synode eine Zäsur
für die Kirche. So stehe die hierarchische Struktur der
Kirche genauso auf
dem Prüfstand wie ihre Sexualmoral und das Priesterbild.
Auch die Rolle der
Frau in der Kirche müsse überdacht werden. Wie denken die
Gläubigen in
Ihrer Territorialprälatur? Was erwarten sie von der Synode?
Natuerlich sind diese Fragen irgendwie mit drin in der
Amazonassynode, aber sie treffen nicht den Kern. Die Kirche war am Amazonas
bisher schlicht unfaehig, ihre hierarchische Struktur praesent zu machen, ganz
geschweige ihre Sexualmoral. Die Leute
leben ihre Moral nicht die kirchliche, was vor allem mit der ganz
grossen Abwesenheit der Kirche in ihrem Leben zu tun hat. Aber das ist kein grosses Thema bei uns . Hier
geht es vor allem um Umwelt und Inkulturation. Die Rolle der Frau ist
allerdings auch hier in Thema. Es wird ueber ein neues Amt fuer Frauen
nachgedacht, eine Art “Gynakolytat”, das dem Diakon zumindest gleichgestellt
waere. Wir erwarten eine Kirche, die sich den Armen ganz konkret annaehert, sie
beleitet und bestaerkt und fuer die Mutter Erde prohetisch eintritt.