Ich kam am 22.9.24 in Compostela, dem „Sternenfeld“ oder dem Grab des Apostels Jakobus (Santiago) an, nachdem ich von Burgos aus 497km zu Fuss gepilgert war.
Eine europaeische Kulturstrasse, Tausende von Pilgern tae
Bischofspalast Astorga |
glich, am Wege viele romanische und gotische Kirchen, steinerne Zeugen eines tausendjaehrigen Unterwegsseins.
Ich habe unterschiedlichste Leute getroffen:
eine 81 jaehrige Argentinierin, die alleine 117km von Sarria aus pilgerte, ein
Franzose mit Burn-Out, ein Oesterreicher der von seiner Heimat aus schon 3
Monate unterwegs war, italienische Schulklassen, einen aelteren Hollaender der
nach einem Sturz im Krankenhaus genaeht wurde und dennoch gleich wieder
weiterging...
Ich hoerte vom Pfarrer von O Cebreiro, der in
den 80 Jahren, als der Jakobsweg gerade wiederentdeckt wurde, in diesen
aussterbenden Doerfern ueberall im Wald gelbe Pfeile auf die Baeume malte. Als
er von der Polizei gefragt wurde, was er denn da mache, habe er feierlich
geantwortet: „Ich bereite eine Invasion vor“. Er hatte es dann selbst nicht
mehr erlebt, aber seinen Glauben habe ich bewundert.
Ich habe viel gelernt:
1.
Ich akzeptierte meine Schwaechen,
vor allem im Schulter- und Rueckenbereich. Der 8kg schwere Rucksack hat mir am
ersten Tag gleich erhebliche Beschwerden verursacht. Ich habe mich ueberwunden
und ihn schliesslich jeden Tag einem Gepaeckdienst anvertraut. Da wo ich selbst
nicht mehr kann, muss ich fremde Hilfe akzeptieren.
2.
In mir war noch viel mehr Energie
und Kraft, als ich es vermutet haette. Keine Blase an den Fuessen, die Beine
und der Koerper waren zwar nach jeder Etappe erschoepft, aber wohlauf. Ich
musste nur meine Etappen gut einteilen und fuer gute Ernaehrung und viel Schlaf
sorgen.
3.
Auch meine geistige Verfassung hat
mich ueberrascht. Das klare Ziel vor Augen, das Erreichen jeder Tagesetappe und
die frische Luft haben auch den Geist befluegelt. Ich wurde froehlich, dankbar
und zaeh. Eine wirksame Antistress- und Antidepressions-therapie.
4.
Als Pilger wirst Du
herausgefordert. In Stockbetten im Schlafsaal zu schlafen war am Anfang etwas
schwierig fuer mich. Ich musste die brennende Sonne, sehr kalte Vormittage und
3 leichte Regentage aushalten. Mit der rechten Kleidung und Einstellung kannst
Du aber diese auesseren Schwierigkeiten leicht ueberwinden und Gott fuer alles
danken.
5.
Pilgern heisst auch achtsam sein
auf die Zeichen am Weg. Ueberall gab es Wegmarken mit der Jakobsmuschel und den
gelben Pfeilen. Nur 4 km vor Santiago schenkt einem der „Freudenberg“ die
Euphorie, zum ersten Mal das Ziel vor Augen zu haben. Bei mir wars leider total
neblig. Und dennoch war ich von tiefer Freude und dem Glauben erfuellt, dass da
unten ganz nahe mein Zoiel ist, auch wenn ich nichts sehen kann. Glauben ohne
zu sehen...
6.
Es gibt Menschen die in deinem
Rythmus gehen und andere nicht. Mit den ersteren kommst Du vielleicht in ein
gutes Gespraech, sie werden zu Wegbegleitern, den anderen sagst Du beim
Vorbeigehn nur ein „Buen Camino“ (Guten Weg). Keiner wird zensiert wegen seinem
Tempo oder seinen Ansichten, jeder darf sein, wie er ist. Pilger sind keine
Konkurrenten, es geht nicht darum vor den anderen anzukommen sondern ueberhaupt
anzukommen. Du musst Dich auf Deinen eigenen Weg, dein Tempo und Dein Leben
konzentrieren.
7.
Ich bin meinen Weg fast anonym
gegangen. Nur ganz wenigen habe ich auf Nachfrage gesagt, dass ich Priester
bin. Ich war fast taeglich in der Messe, unerkannt als Teilnehmer. In Santiago
habe ich mit-zelebriert, ohne zu erwaehnen, dass ich Bischof bin. Wichtig ist
nicht meine Position oder mein Amt, sondern mein Mitgehen mit dem Volk Gottes,
so wie Jesus es tat. In Astorga habe ich
einen erzbischoeflichen Palast gesehehen, der wie ein Disney-Maerchenschloss
aussah. Anfang des 20sten Jahrhunderts hatte
ein Bischof den noch jungen Landsmann und Stararchitekten Gaudí
engagiert. Der Bischof starb jedoch noch vor dem Ende des Bauwerks. Kirchliche
Macht ist auch nur „Windhauch“, wie die Bibel (Buch Kohelet) sagt, und am Ende
unseres Lebens bleibt nur die Liebe (Korintherbrief), nicht die Bauwerke.
8.
Zu Fuss pilgern heisst auch die
Langsamkeit und die Betrachtung zu ueben. Normalerweise mache ich alles schnell
und stresse mich selbst. Durch die Langsamkeit des Gehens wurde ich aufmerksam
auf die Weg-Zeichen Gottes, die Natur, Kultur und Menschen. Pilgern heisst
entschleunigen und achtsam werden auf das, was sich in Dir und um Dich herum
regt.
Das Pilgern war fuer mich wie eine Neugeburt.
Es gibt mir Kraft mit Geduld und Zaehigkeit meinem Ziel entgegenzugehen, das
sich mir erst im Verlauf des Weges entschleiert. Dank allen Mitpilgern und
Mitpilgerinnen, auch wenn es nur fuer eine kurze Zeit sein sollte.
Habt auch Ihr einen „Guten Weg“ (Buen Camino).
September 2024 Euer
Reinhold Nann